Ein Weg, der mich am Sonntag bei einer meiner Fahrradtouren durch Westfalen mit seiner seltsamen Schönheit sofort bezaubert hat.

Der Weg steigt relativ steil und fast schnurgerade in die Höhe, beidseitig gesäumt von einem Sammelsurium alter Mauerreste, Zaunsreste, Gesträuch, mittig irgendwie befestigt, unregelmäßige verdeckte Rinnen links und rechts der schmalen Mitte. Blick von oben.

Echthausen Weg 2
Blick vom oberen Ende des Weges ins Ruhrtal

Ich habe am obere Ende des Weges zwei ältere Anwohnerinnen auf ihrem Balkon angesprochen, beide leben seit 50 Jahren dort, eine Name sei ihnen nicht bekannt. Nach dem Heckenschnitt solle ich den Weg nicht benutzen, viele spitze kleine Reste. Waren überrascht über meine Fragen, anfangs misstrauisch, dann geradezu herzlich.

Die üblichen digitalen Kartenservices verzeichnen den Weg, aber auch ohne Namen. Man stösst auf den Weg von Wickede ruhraufwärts, im Ortsteil Echthausen.

Quellen: Google Maps und GeoPortalNRW

Erst auf der Karte und nach der Rückkehr am heimischen Schreibtisch gut ersichtlich: Der Weg verbindet auf gerade Linie das „Haus Echthausen“ mit dem Kern der bereits im frühen 11. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnten Gemeinde Echthausen. Es ist eine alte Siedlung auf einem strategischen Hügel in einer Ruhrschlaufe. Nach der Stadt Wickede 1969 eingemeindet.

Der geschätzte Hansjörg Küster kommentierte dazu auf Facebook: „Der schnurgerade Verlauf kann auf ein hohes Alter verweisen …, auf dem Google-Luftbild wird nun auch noch erkennbar, dass es offenbar Gemarkungsstrukturen gibt, die im rechten Winkel zu dem Weg verlaufen und wie Langstreifenreste aussehen.“

Beide Echthausen haben das gleiche Alter. Der Weg verband beide und die Gemeinde mit dem Reise- und Transportweg Ruhr. Dieser Weg hat Mitte des 11. Jahrhunderts eine kaiserliche Kanzlei beschäftigt.

Denn das „Haus Echthausen“ ist ebenfalls uralt, erstmals erwähnt um 1040, schon Kaiser Konrad II und die Abtei Werden, der die Gemeinde Echthausen pflichtig war, stritten sich um diese Befestigung, die die Ruhr kontrollierte. Der Kaiser blieb siegreich, die Grafen von Arnsberg übten dort die kaiserlichen Rechte aus. Der Weg manifestierte also im Mikrokosmos seiner 200 Meter natürlich nicht den unter Gregor VII beginnenden abendländischen Weltkonflikt zwischen Kaiser und Papst, wohl aber das spezifische Verhältnis zwischen einer sich um ihre Einnahmen in den Region sorgenden Reichsabtei und ihrer Schutzmacht. Abt Gero jedenfalls hatte an der Kontrolle der Ruhr jedenfalls ebensoviel Interesse wie Kaiser Konrad.

Gleichwohl musste natürlich in Echthausen auch gelebt werden: Der kleine Geschäftsverkehr zwischen Veste und Gemeinde lief über Jahrhunderte offenkundig über diesen namenlosen Weg.

Die Namenlosigkeit des Weges will mir ganz plausibel erscheinen, ging der relativ kurze Weg doch ganz in seiner Funktionalität auf. Diese verlor er sukzessive, als Handels-Landverkehr links der Ruhr aufkam und zu breiteren Wegen im Ruhrtal führte, den Fuhrwerke zu nutzen vermochten, die suchten sich dann auch weniger steile Zuwege zur Gemeinde.

Bildschirmfoto 2020-04-20 um 15.36.20
Preussische Karte von 1899

Quelle: Landkartenarchiv.de

Schön und herrschaftlich war die Befestigung Echthausen an der Ruhr noch sehr, Mitte des 19. Jahrhunderts.

 

Haus Echthausen Sammlung Duncker.jpg
By Theodor Albert (Magdeburg 1822-1867, Berlin), Christian Hohe Alexander Duncker (1813-1897) – http://www.zlb.de/digitalesammlungen/SammlungDuncker/12/666%20Echthausen.pdf, Public Domain, Link

 

Die Veste war nach dem Verblassen der kaiserlichen Macht im Ruhrtal in der Hand verschiedener berühmter Adelsfamilien. Die unterschiedlichen rechtlichen Status der beiden Entitäten von Echthausen lassen sich auch im 18. und 19. Jahrhundert zeigen – wenn beide historisch Entitäten dann allerdings inzwischen auch gemeinsame Oberherren hatten, die kirchliche Seite hatte sich für ein paar Jahrhunderte durchgesetzt:
Eine sogenannte Bauerschaft stand einem Rittergut gegenüber, beide zunächst und lange unter der Landeshoheit des Erzstiftes Köln, nach 1803 und 1815 des Königreiches Preussen.

1645 sollte Wilhelm Blaeu (Amsterdam) nur das Rittergut eingezeichnet haben:

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Quelle: Genealogy.net

Das „Haus Echthausen“ gehört heute einem Privatinvestor. Eine Besichtigung ist nicht möglich. (Quelle: Portal Burgen und Schlösser)

Dass der Weg noch existiert, erscheint als das eigenlich Erstaunliche. Noch nicht in einem Baugrundstück aufgegangen, noch nicht einplaniert.

Es ist ein Monument, etwas, das absichtlos und ungewusst hineinragt in unsere Gegenwart. Öffentliche Geschichte, nicht mehr beheimatet, namenlos.

Der Blog geht auf einen spontanen Facebook-Austausch zurück, danke insbesondere an Hansjörg Küster und Marcus Faulwasser für ihre Beiträge. Dann auch als Twitter-Thread: https://twitter.com/MDemantowsky/status/1252237098960121869?s=20 

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