Nicht nur Bücher als Leseobjekte haben ihre Schicksale, sondern auch Bücher als Träger der Besitz- und Gebrauchsspuren der Menschen, die sie in den Händen hielten, sie lasen oder nur aufbewahrten, ein- und umsortierten, erwarben, verkauften, nachliessen, wegwarfen, zweckentfremdeten, zerarbeiteten, ignorierten, verachteten, liebten.

Dieses Exemplar brachte mir gestern „die Post“, wie man früher sagte. Da ich es in meine bibliographische Hausdatenbank aufnehmen wollte und dazu den KVK aufrief, stellte sich heraus, dass keine einzige deutsche und nur wenige österreichische Bibliotheken die Erstausgabe dieser Schrift in ihren Regalen halten, die, so weit ich sehen kann, als erste einen systematischen Überblick gibt, nämlich über etwas ganz Ausserordentliches, den Heldenberg.

Manche mögen ihn kennen aus Stefan Heyms liebenswertem vorletzten Roman „Pargfrider“, Heym, der grummelige und nicht unterzukriegende und ewig linke Jude.

Jetzt haben mich die Umstände zu meiner Freude wieder an dieses unerschöpfte Thema geführt, und so habe ich also dieses Büchlein bestellt, glücklich, es halbwegs erschwinglich in meinen Besitz bringen zu können.

Bei der Aufnahme solcher kleinen antiquarischen Kleinode fällt selbstverständlich viel Aufmerksamkeit auf die Besitzspuren.

Auf dem ersten Foto sieht man, dass es der Autor selbst in den Händen hielt und einem Freund gewidmet hat. Das Datum liegt kurz nach dem des Vorwortes, Januar 1887.
Karl von Kandelsdorfer, der seine Adels-von als Autor nicht, als Offizier sehr wohl pflegte, lebte von 1850 bis 1932, stammt aus Brod (Slavonski Brod) im späteren Jugoslawien. Er durchlief eine erfolgreiche militärische Laufbahn bis zum Oberst, spezialisierte sich auf populärwissenschaftliche Bücher für Soldaten und entsprechendes Publikum, redigierte die Militärzeitschrift, sein Heldenbergbuch war nicht seine erste monographische Hervorbringung. Er war so etwas wie eine Offizier der inneren Führung, if I may say so.

Der „Ludwig“ seiner Widmung auf Foto 1 ist kein anderer als derjenige, der, Foto 2, einen Aufkleber mit „Hauptmann Dubensky“ ins Buch gedrückt hat. Ludwig Budensky, auch er eigentlich ein „von“, entstammt einem böhmischen Adelsgeschlecht, diente bei den Pionieren: 1866 wird er geführt als „vom Stande der Genie-Akad und in der Rangsevidenz der Geniewaffe“. Der Friedhof Wien-Mödling verzeichnet eine Grabstätte unter seinem Namen für das Jahr 1915. Die österreichische Militärzeitschrift verzeichnet einige Beiträge von seiner Hand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. 1911 wird er zum Habsburger Hofstaat gezählt. Karl und Ludwig mögen sich bei ihrer publizistischen Tätigkeit kennengelernt haben, der eine Redaktor, der andere Autor, angesichts der Karrierestufen mögen beide ungefähr gleichen Alters gewesen sein.
Die böhmische Herkunft der Familie Dubensky führt uns zum nächsten Besitzer, Otto Guth.

Otto Guth war ein Prager Bürger, geboren am 25. Januar 1910. Seine Familie gehörte zur jüdischen Gemeinschaft, die zu großen Teilen betont patriotisch österreichisch gesonnen war. Die Eltern mögen dem kleinen Otto das Büchlein zur erzieherischen Erbauung geschenkt haben, vielleicht zum Schulanfang. Als Otto 5 war, starb jedenfalls Ludwig in Wien und das Büchlein kam wieder auf den Markt.
Als er älter wurde, erwachsen, mag er sich mit Freude dieses Momentes erinnert haben, drückte seinen Besitzstempel ins Büchlein und machte es sich nochmals zu eigen. Er blieb in Prag wohnen, zuletzt in der Uliza Králodvorská 14, im damals ersten Prager Bezirk.

Am 10. August 1942 wurde er deportiert, 32 Jahre alt, wir kennen die Uhrzeit nicht, wahrscheinlich hat man Otto morgens geholt, es wird kühl gewesen sein, in Berlin waren zu gleicher Zeit jedenfalls 15 Grad, wir wissen nicht, ob die Nachbarn noch etwas Freundliches zu ihm gesagt haben. Sehr unwahrscheinlich. Jedenfalls wurde er dann in Theresienstadt ermordet.

Und jetzt habe ich auch meinen Stempel in dieses Buch gedrückt.

https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/91280-otto-guth/

Ein Gedanke zu “Heldenbergrudimentschichten

  1. Lieber Autor,
    eine sehr nette Erinnerung daran, dass man Bücher nicht nur des Inhalts wegen aufheben sollte. Ihre gründliche Recherche zu den Hintergründen ist interessant und zudem wirksamer
    Ansporn. Vielleicht sollte ich mein „digitales Bücherbesitztum“ überdenken. Ich arbeite dran.
    Beste Grüße
    M. Bienek
    (derzeit Bad Schwartau)

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