Der Ohrensessel, der keiner war

Ein gewaltiger Ohrensessel,

so beginnt jetzt mal die Geschichte, viele Male von Polsterern neu bespannt. Aus niemals benannten Zeiten stammend, weitergereicht, keine Dutzendware. Zu der Zeit, die mir gerade vor den Augen steht, Oktober 1980, war er ockerfarben bezogen mit eingestempelten großen Blumenumrissen, Orchideenformen. Erstaunlicherweise können meine Fingerflächen jetzt in diesem Moment das Tastgefühl der so oft neu lackierten schwarzbraunen Armlehnen mit ihren nur mangelhaft kaschierten Macken und die Konturen des Überzugsstoffes neu erzeugen, als ob ich damals diesen körpervollen gewaltigen Sessel dauernd gestreichelt und umarmt hätte. Die Rezeptorneuronen meiner Nase erzeugen zu gleicher Zeit die besondere Strenge des Duftes aus dem Inneren seiner Polster neu, magisch, oder spielt mir hier mein Gehirn einen Streich? Gewiss, und einen dankenswerten.

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Ulan Bator vor genau 33 Jahren

Acht Jahre darauf gespart, Altpapier (SERO!) gesammelt, in den Ferien in allen möglichen Fabriken geschuftet, die Jugendweihe-Kasse beiseite gelegt, 2700,- Mark. Motorrad-Fahrschule auf uralten Militärkrädern beim GST-Stützpunkt des Reichsbahnausbesserungswerks Delitzsch. Im 9-m2-Kinderzimmer meiner Schwester und mir hing über Jahre dieses Bild an der Wand.

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We will rock you

1986. Wenn es finster wurde, die müden Strassenlaternen funzelten und die Feuchtigkeit des Tages zu Eis kristallisierte, sodass die Schritte auf den Betongussfeldern, die etwas zwischen Strassen und Weg bildeten, aber auch auf den alten Reichsautobahnen in Bretterrahmen bis zum Aushärten gegossen wurden, gleichsam als performativ erfahrbare Sprunginnovation (hätte man diesen Begriff damals doch nur schon gekannt, welche Kantinenlachsalven unter den witzsüchtigen Werktätigen!), nun … ich komme vom Thema ab …

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Chladni, Francke, mein Grossvater und ich

Was haben wir der protestantischen Theologie und Ihrem Sola-Scriptura-Prinzip doch zu verdanken! Nicht nur die epochale Entdeckung des Sehe-Punkts (1), auch, und weiter denkend, die Einsicht darin, dass die persönliche Disposition des Lesenden dessen Verständnis der Lektüre lenkt, hemmt oder fördert. Hermeneutik simply. So zumindest wird bei flüchtiger Beschäftigung oder eiliger didaktischer Zurichtung jeder Dozierende hören lassen, der im stumpf blickenden Vorlesungssaal seine Effekte braucht. Ich habe das vor Jahren auch so gemacht.

Inzwischen macht es mich bei Texten grundsätzlich misstrauisch, wenn die grosse Innovation posaunt wird, weil die doch in allen mir bekannten Fällen nur auf der Müdigkeit beruht, sich und andere seiner unbewussten (bestenfalls!) Referenzen zu versichern.

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