Manchmal

hole ich mir nach dem Büro einen Dönerscharfmitalles, mein hiesiger Lieblingsladen liegt bei kleinem Umweg einigermaßen auf der Strecke. Ich achte darauf, nicht öfter als einmal pro Woche dort mit immer etwas schlechtem Selbstoptimierungsgewissen vorbeizuschleichen.

Heute wieder. Der Inhaber war gerade im Streit mit einer Gruppe junger Männer, die versuchten, mit ihm um den Preis zu feilschen. Hatten sie nicht genug Geld dabei, machten sie sich einen Spaß, ich weiss es nicht. Eine 6-7-köpfige Multikultibande mit auf rückwärts gedrehten Käppis und teuren Turnschuhen, sofern ich das einschätzen kann. Das Feilschen schien den Inhaber sehr zu kränken. „Inhaber“ … den Mann hinter der Theke, umringt von 100 bunten Bildchen, Geräten, Auslagen, der darin aussah wie eine Zutat unter sonstigen.

Nun, er war richtig sauer jetzt, stocksauer, hochrot. Er schickte die doch ziemlich hartnäckig nachfragenden Burschen schließlich hart weg. Brüsk. Mit vor Kränkung zitternder Stimme. „Lieber keinen Umsatz als solchen!“, krakeelte er. Ich stand daneben mit grossen Augen und ziemlich gelähmt. Sie kamen nochmals zurück, schickten einen der ihren vor, jetzt hätten sie zahlen wollen – aber nein, weg! Geh! ‚Erstaunlich‘ stand mir im Sinn.

Dann erkannte er mich. Also was man so erkennen nennt, er kannte mich nicht, mein Gesicht unter der Maske schien ihm bekannt vorzukommen. Ich gehöre an Dönerständen nicht zu den Gesprächigen. Bestellung – Münzen – Mitnehmen? Ja – danke, schön’n Amhd.

Ok, ich gebe meistens etwas Trinkgeld, und dann wahrscheinlich auch zu viel, mir hat einfach niemand das Trinkgeldgeben beigebracht. Gabs einfach nicht. Ich möchte behaupten, um das einzuflechten, es gibt wenig härtere Jobs im Service, als in diesen engen ölstinkenden Buden bei jedem Wetter am Bratspiess zu stehen und die immergleichen Orders von irgendwelchen Kunden abzuwickeln mit treuer Hand, zu hören, zu schubladisieren, umzusetzen, wegzuschicken. Tagaustagein. Einer ran an die Theke, einer weg von der Theke. Trinkgeld ist da richtig, wenn nicht dort, wo sonst?

Heute war er, wie gesagt, stocksauer, inzwischen wirkte er auch verunsichert, mein naives Zugeschauthaben behagte ihm offenkundig nicht, verständlich, schoss es mir duch den Kopf. Jedenfalls, SO konnte er offenbar nicht weiterarbeiten. Er begann zu erzählen. Oder besser gesagt: Bruchstücke von Deutsch herauszuschleudern. Ich verstand: Wie hart hier alles kalkuliert sei, dass er Familie habe, die dieser Laden ernähre, dass der Sohn mal nicht hier stehen soll usw. usf. immer weiter.

Seine Augen wurden nun leicht glasig, ich stand immer noch da und guckte wie ein Idiot, er begriff das als Einladung, war es ja auch, wahrscheinlich, auf mich wartete niemand. Seine Familie sei aus der Türkei geflohen, er war damals 5 Jahre alt, die ganze Politik eine einzige Lüge, niemandem trauen!, Israel!!, hier Krieg, da Krieg, Lüge, wohin?, alles zu, nur hierher war möglich.

Ja, sie seien Aleviten!, überall nur Krieg. Aleviten! (Sein Deutsch furchtbar mangelhaft, offenbar sprach er ausserhalb der Speisekarte nie diese Sprache, er mochte inzwischen 40 oder älter sein, aber wie altert man täglich hinter dem Bratspiess?) Krieg, Betrug, Israel, die Türken, alles im wilden Kreisel. Niemandem trauen!, rief er wild! Niemandem!

Sein Leben breitete sich nach und nach in scheinbar wirren Versatzstücken vor mir aus, alles habe ich nicht verstanden, es war ein Mosaik vor seiner Zusammensetzung, nur ein ungeordneter Haufen Erfahrung und Verzweiflung. Das geschah alles im Zentrum dieser supikultivierten reichen Stadt, einer Perle Europas. Tausende laufen täglich vorbei.

Hinter mir hatte sich eine kleine Schlange gebildet, wie ich plötzlich bemerkte. Hinten verstand man nicht, was vorging. Man wollte seine Dönerdürumpizzabratwurst.

Sein Name lautet Serkan. Ein Foto wollte er nicht gemacht haben. Zum Abschied haben wir uns die Hände geschüttelt, über den schmierigen Tresen hinweg. Was wird er abends erzählt haben?

P.S.: Ich habe nachgeschlagen. Serkan bedeuted „adeliges Blut“, „Oberhaupt“.

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Bild by Alper Çuğun, 9.10.2010, CC BY 2.0

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